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GEV-B

Geschichten-Ergänzungsverfahren
zur Bindung

Bindungsstrategien in der mittleren Kindheit:

Diagnostik mit dem Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung – GEV-B

Das GEV-B ist eine Methode zur Erfassung der Bindungsrepräsentation von Kindern zwischen 5 und 8-10 Jahren (Gloger-Tippelt & König, 2016).

Die Kenntnis der Bindungsstrategie stellt eine wertvolle diagnostische Information dar, sowohl in der individuellen Beratung und Therapie als auch in der Forschung.

Während die Bindungsqualität in der frühen Kindheit aus dem Bindungsverhalten des Kleinkindes in einer standardisierten Verhaltensbeobachtung erfasst wird, ist im Alter von ungefähr vier bis zehn Jahren aufgrund der fortgeschrittenen kognitiven, sprachlichen und sozialen Fähigkeiten der Kinder die Bindungsrepräsentation bedeutsam. Diese kann mit Hilfe des projektiven, standardisiert durchführbaren und auszuwertenden Verfahrens GEV-B erschlossen werden und einen diagnostischen Zugang zur bindungsbezogenen inneren Welt des Kindes schaffen.

Die deutschsprachige Version des GEV-B beruht auf der Durchführung von Bretherton, Rigeway und Cassidy (1990), die Auswertung und Klassifikation stammt von Gloger-Tippelt und König (2016). Die psychometrische Qualität des Verfahrens ist gut belegt, es kam sowohl bei klinischen als auch bei nicht-klinischen Stichproben in mehreren europäischen Ländern zum Einsatz (Gloger-Tippelt & Kappler, 2016).

Ablauf der Bindungsdiagnostik mit dem GEV-B

Beim GEV-B werden dem Kind Anfänge von alltäglichen bindungsrelevanten Situationen mit kleinen Familienfiguren vorgespielt und es anschließend daran aufgefordert diese Geschichten weiter und zu Ende zu spielen. Die fünf Geschichtenanfänge thematisieren jeweils eine Belastungssituation für das Kind (wie Schmerz durch ein verletztes Knie, Angst vor einem Monster im Kinderzimmer, Trennung von den Eltern über Nacht), die das Kind in seinem Spiel lösen soll. Die Durchführung wird mit Video aufgezeichnet.

Die manualisierte Auswertung der Videoaufzeichnung des GEV-B liefert die Grundlage zur Bindungsklassifikation des Kindes (kategorial: sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und desorganisierter Bindungsstatus sowie dimensional: 5-fach abgestufter Bindungssicherheitswert).

Einführungs-Training im GEV-B

In einem zwei- bis dreitägigen Workshop gibt Frau Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt persönlich eine Einführung in die Bindung in der mittleren Kindheit und trainiert mit Ihnen die standardisierte Durchführung und Auswertung des GEV-B. Zielgruppen sind u.a.

  • Psycholog:innen
  • (Sozial- und Sonder-) Pädagog:innen
  • Sozialarbeiter:innen
  • Ärzt:innen (besonders Kinder- und Jugendpsychiater)
  • Therapeut:innen

Hintergrund zum GEV-B

Während die Bindungsqualität im vorsprachlichen Entwicklungsabschnitt aus dem Bindungsverhalten des Kleinkindes in der standardisierten Beobachtung, der Fremden Situation,  nach belastenden Trennungen erfasst wird, ist im Alter von ungefähr vier bis zehn Jahren gemäß den  fortgeschrittenen kognitiven, sprachlichen und sozial-kognitiven Fähigkeiten der Kinder die Bindungsrepräsentation bedeutsam. Diese kann mit Hilfe von projektiven, aber standardisiert durchführbaren und auszuwertenden Verfahren wie dem Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung (GEV-B, Gloger-Tippelt & König, 2016) erschlossen werden und einen diagnostischen Zugang zur bindungsbezogenen inneren Welt des Kindes schaffen. Ab ungefähr vier Jahren hat das Kind seine Erfahrungen mit Schutz- und Fürsorgeverhalten der Eltern in einem theoretisch postulierten Inneren Arbeitsmodell von Bindung (Bowlby) repräsentiert. Es wird angenommen, dass in dieses innere Modell von Bindung außer eigenen Erfahrungen auch Wünsche, Fantasien und soziale Kognitionen wie erwartetes Rollenverhalten eingehen. Diesem inneren Arbeitsmodell bzw. der Bindungsrepräsentation kommt eine besondere Bedeutung zu, da es als Prototyp für enge Beziehungen auch in späterem Alter gilt. Das Bindungsverfahren GEV-B erlaubt es mit Hilfe von systematischen Kodierregeln die oben genannten vier Bindungsmuster zu unterscheiden, (eine sichere, zwei organisiert unsichere Bindungen, sowie eine hoch unsichere Bindungsdesorganisation).

Eine sichere Bindungsrepräsentation im Vor- und Grundschulalter erwies sich als Schutzfaktor für psychische Gesundheit und ermöglicht normative Aussagen über wünschenswerte Eltern-Kind-Beziehungen und Erziehungspraktiken.  Bindungsdesorganisation bei Kleinkindern, Vor- und Grundschulkindern wurde als Risikofaktor für die Entwicklung von Verhaltensproblemen nachgewiesen, insbesondere für externalisierendes und internalisierendes Problemverhalten. Bei diesen Familien sind stützende Maßnahmen erforderlich.

Die Bindungsrepräsentation des Kindes ergänzt Beobachtungen der Eltern-Kind-Interaktionen und Fragebögen aus Eltern- oder Erziehersicht um die subjektive Erlebnis- und Vorstellungswelt des Kindes. Damit wird die größere Autonomie des Kindes im Vor- und Grundschulalter in der Beziehung zu den Eltern entwicklungspsychologisch angemessen berücksichtigt.  

Literatur

Bretherton, I., Ridgeway, D. & Cassidy, J. (1990).  Assessing working models of the attachment relationship: An attachment story completion task for 3-year-olds. In M. T. Greenberg, D. Cicchetti & E. M. Cummings (Eds.), Attachment in the preschool years (pp. 273-310). Chicago: The University of Chicago Press.

Gloger-Tippelt, G. & König, L. (2016). Bindung in der mittleren Kindheit. Das Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung (2. Aufl.). Weinheim: Beltz Verlag. Gloger-Tippelt, G. & Kappler, G. (2016). Narratives of attachment in middle childhood – Do gender, risk status, and age matter for the quality of attachment?  Attachment and Human Development, 1-26. | DOI: 10.1080/14616e.734.2016.1194440

Reliabiltäts-Training im GEV-B

Für den Einsatz des GEV-B in der Forschung und Begutachtung ist anschließend an das Einführungs-Training der Erwerb der Reliabilität erforderlich. Sie vermittelt den Teilnehmenden in einer kleinen Gruppe eine verlässliche Auswertung der Videoaufzeichnungen des GEV-B. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen:

  1. Jede Person erwirbt die Reliabilität für sich und unabhängig von anderen Experten.
  2. Bei diesem Prozess verpflichten Sie sich schriftlich, die Videos nicht zu kopieren und nicht weiter zu geben. Dies würde die Zuverlässigkeit des Verfahrens in Frage stellen.
  3. Zur Übung werden bis zu 20 Fälle bearbeitet. Ihre Auswertung der Übungsfälle schicken die Teilnehmenden per Post an Frau Prof. Gloger-Tippelt. Es werden 1-2 Treffen mit der Ausbilderinund einer Gruppe Kandidatinnen vereinbart, bei denen die Fälle detailliert diskutiert werden. Es ist ratsam, insgesamt alle 20 Übungsfälle zu bearbeiten, um eine hinreichend breite Erfahrung zu gewinnen.
  4. Im letzten Schritt erhalten Sie 20 Reliabilitätsfälle, die Sie allein auswerten. Wenn 80%, d.h. mindestens 16 Fälle korrekt klassifiziert wurden, bekommen Sie ein Zertifikat über Ihre Reliabilität.
  5. Die Reliabilität muss innerhalb eines Jahres nach dem Einführungstraining im GEV-B abgeschlossen werden.